Individuell und komplex: Lernressourcenregulation im Lernprozess - Eine temporale Netzwerkanalyse am Einzelfall
Theoretischer Hintergrund: Lernprozesse finden nicht isoliert statt, sondern innerhalb eines vernetzten Systems aus Ressourcen, deren Zusammenspiel ein Lernender zu steuern versucht. Bisherige Theorien und empirische Befunde verweisen zwar auf die Bedeutung der Ressourcenverfügbarkeit im lernenden System, die Ressourcenregulation wird jedoch zu wenig beachtet. Es ist ein sehr individuelles Ressourcennetzwerk zu erwarten, das über den Lernprozess hinweg und situationsabhängig angepasst werden muss.
Fragestellung: Die Studie untersucht an einem Einzelfall die komplexe, individuelle Ressourcenregulation im zeitlichen Verlauf, um bei diesem Einzelfall stabile Muster im Zusammenwirken der Ressourcen zu identifizieren und Vorhersagen für die Ressourcenkonstellation zur nächste Lernepisode zu machen.
Methode: Das Vorgehen ist analog zur Entwicklung personalisierter Psychotherapiepläne auf Basis von Symptom-Zeitreihenerhebungen (Epskamp et al., 2018). In einem Zeitreihen-Lernexperiment über 50 Tage wurden täglich die Ressourcen, operationalisiert über die Lern- und Bildungskapitale (Ziegler & Stoeger, 2011), für das Erlernen von Vokabeln bei einer Studentin (N = 1) erfasst. Zusätzlich wurde die Leistung, Lerndauer und das Stresslevel täglich erhoben. Die multivariate Zeitreihe wurde netzwerkanalytisch mit einem graphical vector autoregressive model ausgewertet, das ein Netzwerk für die gleichzeitig auftretenden Effekte und eines für die zeitliche Dynamik von Tag zu Tag schätzt (Epskamp, 2017; Epskamp et al., 2018).
Ergebnisse: Die Netzwerkanalysen zeigten auf, welche Ressourcen besonders relevant für die Regulation des Lernprozesses und der Leistung, Lerndauer und Stresserleben der Studentin waren. Es fielen Ressourcen auf, die (1) besonders stark mit anderen interagierten, (2) die eine mediierende Rolle zwischen anderen Ressourcen einnahmen, und (3) die homöstatisch das System stabilisierten.
Diskussion: Die Ergebnisse einer Einzelfallanalyse lassen keine Generalisierung zu, erlauben jedoch erste theoretische Rückschlüsse. Da die Befunde teils theoretischen Annahmen widersprechen (z.B. dem law of the minimum, der besonderen Bedeutung von Protokapitalen), ist eher von individuellen Regulationsgefügen auszugehen als von allgemeingültigen, über Personen hinweg bestehende Mustern. Darüber hinaus liegt der Mehrwert der Netzwerkbasierten Einzelfallanalyse in einem detaillierten Einblick in ein individuelles Ressourcengefüge, der fundierte und effektive Fördermöglichkeiten eröffnet.
Implikationen für Theorie und Praxis: Die Methode der Einzelfallzeitreihe erlaubt es in der Praxis eine auf den Fall zugeschnittene Förderung zu entwickeln, wobei die Netzwerkmethode nicht nur die Schwierigkeiten visualisiert, sondern auch die effektivsten Ansatzstellen für Interventionen identifiziert. Weitere Untersuchungen zur Individualität der Ressourcenregulation sind angezeigt, um weiterführende theoretische Ableitungen vorzunehmen.
Literatur
Epskamp, S. (2017). graphicalVAR: Graphical VAR for experience sampling data (R package version 0.3.4). http://CRAN.R-project.org/package=graphicalVAR
Epskamp, S., van Borkulo, C. D., van der Veen, D. C., Servaas, M. N., Isvoranu, A. M., Riese, H., & Cramer, A. O. J. (2018). Personalized Network Modeling in Psychopathology: The Importance of Contemporaneous and Temporal Connections. Clin Psychol Sci, 6(3), 416-427. https://doi.org/10.1177/2167702617744325
Ziegler, A., & Stoeger, H. (2011). Expertisierung als Adaptions- und Regulationsprozess: Die Rolle von Bildungs- und Lernkapital. In M. Dresel & L. Lämmle (Eds.), Motivation, Selbstregulation und Leistungsexzellenz (pp. 131-152). LIT.
| Titel | Individuell und komplex: Lernressourcenregulation im Lernprozess - Eine temporale Netzwerkanalyse am Einzelfall |
|---|---|
| Medien | Vortrag auf der 20. Fachgruppentagung Pädagogische Psychologie, September 2025, Jena |
| Herausgeber | Deutsche Gesellschaft für Psychologie |
| Verfasser | Bettina Harder, Dr. Nick Naujoks-Schober, Manuel Hopp |
| Seiten | https://www.fsv.uni-jena.de/50743/paeps-2025 |
| Veröffentlichungsdatum | 29.09.2025 |
| Zitation | Harder, Bettina; Naujoks-Schober, Nick; Hopp, Manuel (2025): Individuell und komplex: Lernressourcenregulation im Lernprozess - Eine temporale Netzwerkanalyse am Einzelfall. Vortrag auf der 20. Fachgruppentagung Pädagogische Psychologie, September 2025, Jena, https://www.fsv.uni-jena.de/50743/paeps-2025. |